"Meine" Bücher

Thomas M. Fiedler

 

 

Von der Nutzlosigkeit erwachsen zu werden

Georg Heinzen, Uwe Koch

rororo, 1985

Klappentext
"Zwischen den Apo-Opas und der »No-future«-Generation stehen die heute 30jährigen. Es sind diejenigen, die voller Pläne und Bildung - es einmal besser haben sollten, aber am Ende feststellen müssen, dass die Gesellschaft gerade für Pläne und Bildung am wenigsten Verwendung zu haben scheint. Mathias ist einer von ihnen. Er erzählt seine Geschichte - und damit die Geschichte seiner Generation."

 

Pressestimme

"Mathias Grewe ist Produkt der 68er-Bewegung, ist Produkt der Ölkrise, ist Produkt der Sinnkrise, ist Produkt der Bildungskrise, ist Produkt der Autoren Georg Heinzen und Uwe Koch, das unter dem Titel »Von der Nutzlosigkeit, erwachsen zu werden« bei Rowohlt erschienen ist und verspricht, ein Renner zu werden.
Zu Recht und aus gutem Grund. Dieses Buch ist peinlich: peinlich genau und peinigend, die bis in die Sprache perfekte Rekonstruktion des Bodensatzes der Rebellion der 60er Jahre und ihrer Folgebewegungen."
(Cora Stephan im Spiegel vom 11.11.1985)

 

 

LESEPROBEN

 

Askese in der Überflussgesellschaft und ihre Entwertung durch Alternativlosigkeit - Fluchtpunkt Genuss

"Jobs wurden immer wichtiger für mich, nicht nur als Kompensation der Zwecklosigkeit meines Studiums, sondern auch, um die materielle Genügsamkeit meines Lebensstils auszugleichen, die immer als Opposition zur Überflussgesellschaft gedacht gewesen war, aber in Wirklichkeit nur die Verarmung vorwegnahm. Nun hatte ich genug von dieser ganzen sozialen Bescheidenheit und dachte, dass ich zu asketisch gelebt hatte. Vielleicht hatte ich den Konsumverzicht nur so lange ertragen, wie mir ein späteres Leben in großzügigeren Verhältnissen sicher schien. Seit ich daran zweifelte, ob jemals etwas daraus werden würde, wollte ich das Genießen lernen." (S.83)

 

Die neoliberale Neidmechanik

"Alle mittelständischen Unternehmer schimpfen auf den Staat. Meine früheren Chefs, mein Zahnarzt und Onkel Heiner teilen stets aller Welt mit, dass ihre Arbeit zu geringen Ertrag abwirft.
(...).
Natürlich haben auch Arbeiter und Angestellte das Gefühl, weniger zu erhalten, als ihnen zusteht, aber im Gegensatz zu Onkel Heiner würde Vater sich wohl nie bei einer Geburtstagsfeier darüber auslassen. Für Onkel Heiner liegt die Schuld beim Staat. (...). »Leistung wird bei uns bestraft«, ist eine beliebte Parole von ihm. Für Vater liegt die Schuld bei ihm selbst, weil er es nicht zu mehr gebracht hat. (...). Auf Unternehmer zu schimpfen, ist die unfeine Art der Erfolglosen. Das machen fanatische Gewerkschafter, Kommunisten und ewig zu kurz Gekommen wie ich, die immer noch einen Klassenstandpunkt haben wollen in einer Welt von unternehmenden Mitbürgern und Arbeitsplatzbesitzern. Aber auf den Staat zu schimpfen, ist das Einverständnis der Erfolgreichen." (S.163f.)

 

Wider die Entwertung der Biografie

"Erst dachte ich, meine hoffnungsvolle Vorgeschichte sei dieser Irrtum, weil ich vor lauter Erwartungen an das Leben, das ich mir erträumte, untauglich wurde für das Leben, wie es wirklich ist. Aber ich halte daran fest, dass die Vorgeschichte, die mich dazu verleitet hat, etwas vom Leben zu verlangen, ein Irrtum ist. Die Umstände, die meine Vorgeschichte so schrecklich nutzlos werden ließen, sie sind der Irrtum."  (S.183)

 

Ein Manifest

"Ich träume von einer besseren Zukunft, weil ich mir eingestehen kann, in einer unglücklichen Gegenwart zu leben. Ich halte die Entzweiung aus und kann zugeben, Ziele nicht erreicht und Wünsche nicht verwirklicht zu haben. Ich fühle mich nicht mehr als Verlierer.
Ich werde niemals sagen, dass die Arbeit schön ist, zu der ich gezwungen bin. Und ich werde niemals sagen: »Man gewöhnt sich an alles«. Ich werde mich nicht gewöhnen. Und ich werde meine Ziele nicht widerrufen, nur weil sie sich nicht erreichen lassen.
Ich entziehe mich dem Alltag, von dem ich ahne, wie schrecklich er ist. Ich halte mich heraus aus dem schäbigen Teil der Wirklichkeit und halte deshalb nicht Prügel für ab und zu notwendig, Unternehmer für erfinderisch und Luftverschmutzung für unvermeidlich. Ich weiß Ostern noch nicht, auf welche Wochentage Weihnachten fällt.
Auf mich kann sich keine Behörde verlassen. Auch als Verbraucher bin ich unberechenbar.
(...).
Einverständnis ist von mir nicht zu erwarten. Solange es keinen richtigen Beruf für mich gibt, verdiene ich meinen Lebensunterhalt. Ich mache meine Arbeit, aber ich mache sie unversöhnt.
Ich werde keine Geschichten mehr von damals erzählen. Ich werde auch nicht sagen »Früher war alles besser«, auch wenn ich das manchmal denke. Mein falscher Plan vom Leben hatte auch sein Gutes. Ich bin nicht mehr zu vereinnahmen. Ich hoffe nicht mehr auf Angebote. Ich glaube an keinen lieben Gott und keinen freien Markt. Ich werde mich niemals genug langweilen, um mir einen Hund zuzulegen."
(...).
Ich bin, der ich bin. Ein freundlicher junger Mann, der in die Jahre gekommen ist. (...). Der höflich ist, aber nicht gutwillig. Ein Arbeiter im monotonen Getriebe, der einmal höher hinaus wollte und jetzt, ganz ohne Gesellenbrief, bei denen gelandet ist, für die er sich in seiner Freizeit einsetzen wollte. (...). Der es ertragen kann, die Verhältnisse unerträglich zu finden (...). Der sich nicht mehr darüber beklagt, betrogen worden zu sein, der lieber oppositionelle als verbittert ist." (S.188ff.)


Kommentar

Thomas: Ja, was soll ich sagen, das Buch war für mich 1985 so etwas wie ein Schock. Ab da habe ich während meines Studiums keine einzige Arbeit mehr abgegeben, sie waren nur mehr für mich, Selbstzweck, sich jeder Fremdbewertung entziehend. Einer meiner Lieblingssätze: "Die Umstände, die meine Vorgeschichte so schrecklich nutzlos werden ließen, sie sind der Irrtum." 

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