Texte, Lyrik, Dramolette

Thomas M. Fiedler

 

 

Von der chinesischen Kunst der Teezubereitung

 


 

 

 

Einführung

in das

jahrhundertealte Trinkritual

Zusammenstellung: Thomas M. Fiedler

Unter Verwendung von „Tee“, Kwang Hwa Publishing Company, Taipei und „Das Tao des Teetrinkens“ v. John Blofeld, Scherz Verlag, Bern

 

Wo immer Chinesen hingehen, der Brauch des Teetrinkens ist allgegenwärtig. Sie waren die Ersten, die den Tee entdeckten, und seit unzähligen Generationen wird er getrunken.

Wenn man auf die Insel Taiwan kommt, sieht man alte Männer, die in einem Tempel oder einer alten Straße zu zweit oder zu dritt zusammensitzen. Sie werden wahrscheinlich ruhig um einen einfachen hübschen Teetopf von der Größe einer Faust versammelt sein, jeder hält eine winzige Tasse in Händen und man unterhält sich und trinkt Tee. Dies ist das traditionelle chinesische Tee-Trinkritual „der alten Männer“, lao-jen ch’a.

Das chinesische „Tao des Teetrinkens“ oder „Kunst, den Tee zu bereiten und zu genießen“ ist, anders als der hochstilisierte japanische „Tee-Weg“, eine auch für den Europäer leicht zugängliche Kunst, Ruhe und Entspannung in der Hektik des Alltags zu finden.

Der Tee schmeckt am besten, wenn er in angenehmer Umgebung inner- oder außerhalb des Hauses genossen wird, in ruhiger Atmosphäre und in stilvollem Rahmen. Eine große Gesellschaft lenkt nur ab, während das Beisammensein mit zwei oder drei Freunden viel zum Genuss des Tees beiträgt.

Zwei weitere äußerst wichtige Dinge sind sehr klares Wasser und ein Zubehör-Set von unaufdringlicher Schönheit, das zur Atmosphäre stiller Harmonie beiträgt.

Und dennoch kann selbst eine vollkommene Kombination dieser fünf Komponenten – Atmosphäre, Freunde, Tee, Wasser und Utensilien – ihren Zauber verfehlen, wenn es an der inneren Einstellung mangelt, um das alles richtig zu genießen.

Der Schlüssel zu dieser inneren Einstellung ist aufmerksames Gewahrsein. Unsere heutige Welt ist so voller Ablenkungen, dass dieses aufgeschlossenen Gewahrsein heute erst kultiviert werden muss. Hat man es erreicht, werden sich tausend bisher unbeachtet gebliebenen Feinheiten offenbaren: zum Beispiel das leise Zischen und Brodeln im Wasserkocher oder die Feinheiten des Duftes und Geschmacks.

Sobald man sich ganz auf das Hier und Jetzt konzentriert, kann man eine breite Palette kleiner Freuden genießen, Augen, Ohren, Nase, Gaumen und die Stimmung betreffend. Ehrfurchtsvolles Schweigen oder strenge Formen würden dieses Vergnügen stören. Beim Teegenuss sollte man angenehm entspannt sein und sich natürlich geben. Will man über die Schönheit der Teeutensilien sprechen, in Ordnung; man darf nur nicht das Gefühl haben, dazu verpflichtet zu sein. Der Geist des Tees ist wie der Geist des Tao; er strömt spontan, wandert hierhin und dorthin und widersetzt sich jedem Zwang.

Besteht kein Interesse an philosophischen oder metaphysischen Themen, sollte man davon Abstand nehmen. Andererseits mag jenen, die sich an solchem Gedankenaustausch erfreuen, der Umstand gefallen, dass die Kunst des Teetrinkens, wie die meisten traditionellen chinesischen und japanischen Künste, die Harmonie zwischen den Drei Mächten – Himmel, Erde und Mensch - einbezieht.

Der Himmel sorgt für Sonnenschein, die Feuchte des Nebels und den Regen – alle drei für den Anbau von Tee notwendig.

Die Erde liefert den Boden, der die Teepflanze ernährt, den Ton, aus dem Teegeschirr geformt wird, sowie die Felsenquellen, aus denen kristallklares Wasser für den Teegenuss sprudelt.

Der Mensch gibt seine Fertigkeiten bei der Verarbeitung der Teeblätter hinzu und schafft aus Wasser, Teeblättern und Keramik ein kleines Kunstwerk.

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Geschichte

Tee als Getränk war bereits vor ca. 2000 Jahren bekannt. Zuverlässig nachzuweisen ist es in der Epoche der Drei Königreiche (222-277). Die Tee-Kunst entstand jedoch erst während der T’ang-Dynastie (618-907).

Tee, ursprünglich wegen seiner medizinischen Eigenschaften getrunken, war als Getränk höfischer Kreise bereits in der frühen T’ang-Zeit beliebt, und breitete sich schnell in allen Schichten der Bevölkerung aus. Bald wurde sie von Mongolen, Tartaren, Turkvölkern und tibetischen Nomaden nördlich und westlich der Grenzen Chinas übernommen.

Das, was man zutreffend als Tee-Kunst bezeichnet, aber sollte von Lu Yü ins Leben gerufen werden. So erhielt Lu Yü den Beinamen „Tee-Gott“.

Er verfasste auch das erste umfassende Werk über Tee, das klassische Buch vom Tee, Ch’a Ching – heute eher ein Kuriosum als eine nützliche Informationsquelle.

Der Yang-Hsien-Tee, den Lu Yü als den feinsten bezeichnete, leitete schließlich gegen Ende des achten Jahrhunderts den „Tribut –Tee“ ein. Eine gewisse Menge der besten Tees, die im Laufe der Zeit – mit dem steigenden höfischen Teekonsum – immer höher wurde, musste als Tribut an den kaiserlichen Hof geschickt werden.

In der Sung-Dynastie (960-1280) erreichte die Tee-Kunst neue Höhen.

Seit jener Zeit hat sich nur wenig an den verschiedenen Arten geändert, den Tee zuzubereiten und zu trinken.

Der Tribut-Tee wurde in Form von zu „Kuchen“ gepressten Blättern geliefert. Obwohl Tee damals der Allgemeinheit in verschiedenen Formen zur Verfügung stand – grobkörnig, als lose Blätter, zu Pulver gemahlen und als „Kuchen“ – bevorzugten die meisten Tee-Trinker die letztere Art. Man schnitt von dem „Kuchen“ schmale Streifen ab, die dann zu Pulver gerieben wurden. Doch kam auch der Lose-Blatt-Tee, wie wir ihn heute verwenden, schon damals in Mode.

Auch die Volkswirtschaft insgesamt und die Entwicklung der Keramik profitierten von dieser Entwicklung.

Gegen Ende des achten Jahrhunderts waren etwa 30.000 Menschen dreißig Tage im Jahr mit dem Pflücken und Trocknen von Tribut-Tee beschäftigt. In ausgewählten Dörfern des Anbaugebietes versammelten sich zu dieser Zeit außer vielen Beamten auch Händler aller Art. Es gab amtliche und private Weinschenken sowie Unterkünfte für Freudenmädchen und Musikanten.

(Anmerkung: Im neunten Jahrhundert brachten zwei japanische Mönche, die nach Hause zurückkehrten, etwas Teesamen aus China mit. Damit begann die Geschichte des japanischen Tees - Pulvertee.)

Nach Europa gelangte Tee erstmalig in der späten Ming-Zeit (1368-1644).

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Ernte

Die Qualität der Blätter wurde höher bewertet als ihre Quantität. Die gut ausgebildeten Pflückerinnen trugen Namensbezeichnungen an der Kleidung, sodass sich keine Teediebe unbemerkt unter sie mischen konnten. Ihre Fingernägel durften weder zu kurz noch zu lang sein; denn zum Pflücken bediente man sich der Nägel und nicht der Finger, um zu vermeiden, dass die Blätter durch Schweiß und Körpergeruch verunreinigt wurden.

Die Mädchen trugen Körbe auf dem Rücken und hatten Wasserkrüge bei sich, um die Fingernägel öfters waschen zu können. Andere standen mit Wasserkübeln bereit, um die frisch gepflückten Blätter zu besprengen.

Auf das Pflücken folgte das Sortieren nach fünf Kategorien.

Nämlich „Kleine Knospe“, „Mittlere Knospe“ (mit einem einzigen Blatt an jedem Stängel), „Purpur-Knospe“ (mit zwei Blättern an jedem Stängel), „Zwei Blätter mit Knospe“ und „Stängelspitzen“.

Die beiden ersten Sorten lieferten Tribut-Tee, der Rest wurde auf dem Markt verkauft.

Nach dem Sortieren wurden die Teeblätter gedämpft, gerollt, getrocknet, gemahlen und in Hohlformen aus Metall gepresst, dann in einem Ofen erhitzt. Letzteres geschah mehrfach innerhalb eines Zeitraumes von sechs bis zwölf Tagen, wonach der Tee jeweils sofort durch kräftiges Befächern luftgekühlt wurde.

Einige dieser Tees waren von solch hervorragender Qualität, dass von den winzigen Mengen, die auf den freien Markt gelangten ein catty (0,6 Kilo) zwei Unzen Gold (ca. Euro 500,-) kostete. Dies ist auch heute ein exorbitanter Preis, ganz zu schweigen von der Zeit vor neunhundert Jahren.

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Die Gäste

(Aus dem Ch’a Shu, Handbuch für den Inhaber des Throns – Ming-Dynastie) 

Sind die Gäste in lärmender Stimmung, sollte man ihnen lieber Wein zu trinken geben; sollten sie dann berauscht sein, könnte man ihnen ganz gewöhnlichen Tee reichen. Nur wenn man Gäste geladen hat, die man besonders schätzt, eben jene guten Freunde, mit denen man ruhig und ohne jede Formalität über alles und jedes sprechen kann, sollte man dem Diener auftragen, das Öfchen zu bringen, Wasser zu holen und Tee zuzubereiten.
 


Sieh den alten Priester in seinem uralten Tempel.

Er unterhält selbst das Räucherwerk, schlägt selbst die Trommel.

Die Opfergaben sind Kräuter und Wurzeln aus den Bergen.

Die Sonne versinkt gelb hinter den Kiefern,

Des Herbsthimmels Sterne scheinen durch die Löcher in den Wänden.

Warum sollt‘ er die Mühe sich machen, die Falltür zu schließen?

Stockdunkel ist es im Raum. Ruhig sitzt er da,

Auf einer zerschlissenen Matte aus Stroh, in Versenkung.

Dann bereitet er im rötlichen Licht des Öfchens

Seinen Mitternachts-Tee.

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Zehntausend Tees

Von den chinesischen Tees gehören fast alle zu einer der folgenden Kategorien:

Grün      – unfermentiert

Oolong   – halb fermentiert

Rot         – ganz fermentiert („schwarzer Tee“)

Der Geschmack für wirklich feinen Grünen oder Oolong-Tee muss kultiviert werden. Wer einen berühmten Tee anfangs enttäuschend findet, sollte daran denken, dass die Liebhaber von Wein, Bier, Tabak, Käse und dergleichen diese Genussmittel selten gleich beim ersten Kennenlernen zu schätzen wussten oder sie bezüglich ihrer Qualität von anderen unterscheiden konnten.

Die feinsten Teeblätter „Vor dem Licht“ werden vor dem Fest des Klaren Lichts gepflückt, das in den späten März oder frühen April fällt; die Blätter sind dann winzig und duften wunderbar. Die zweitbeste Sorte „Vor dem Regen“ wird vor diesem Fest und dem Einsetzen der Frühjahrsregen geerntet, während die Blätter noch klein und zart sind.

Käufer, die nach weniger teuren Sorten eines Tees fragen, geben sich mit solchen zufrieden, bei denen sie die Bezeichnung „Nach den Regenfällen“ finden, was darauf hinweist, dass die Blätter größer und weniger zart sind.

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Tee und Gesundheit

Der Genuss Grünen oder Oolong-Tees hat, auch nach modernen Erkenntnissen, eine Vielzahl von positiven Wirkungen.

Er fördert die Blutzirkulation, unterstützt klares Denken und geistige Wachsamkeit, fördert die Ausscheidung von Alkohol und sonstigen schädlichen Substanzen (Fette, Nikotin) aus den Organen, stärkt die Widerstandskraft des Körpers gegen Krankheiten, beschleunigt den Stoffwechsel, reinigt und belebt die Haut, fördert die Verdauung, lindert Unbehagen in Gliedern und Gelenken, löscht den Durst und führt ein allgemeines Gefühl des Wohlbehagens herbei. Auch die Wirkung gegen Bluthochdruck und Herzkrankheiten, sowie gewichtskorrigierende Eigenschaften sind medizinisch gesichert.

Dabei wirken Koffein, Gerbsäure, Vitamine (A, B2, C, D und P), Mangan, ätherische Öle und vieles mehr.

Lediglich bei Schlaflosigkeit oder Übererregbarkeit sollte vom Teegenuss Abstand genommen werden.

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Anleitung zur Ausübung
der kunstlosen Kunst

Die Tee-Kunst ist insofern kunstlos, als sie mit einem Maximum an Formlosigkeit und Freiheit von Beschränkungen ausgeübt wird. Es brauchen keine anderen Regeln befolgt zu werden als die, feinen Tee zuzubereiten, dass Geschmack und Aroma aufs Höchste entwickelt werden.

Laotse sagt uns, das Tao übe seine wunderbaren Funktionen auf vollkommene Weise aus, ohne dass man auch nur einen Gedanken an sie verschwendet.

In dem Maß, in dem Spontaneität ein wichtiger Aspekt der chinesischen Tee-Kunst ist, reflektiert diese Kunst eindeutig das Tao, da Spontaneität im wu-weï, dem absichtslosen Tun, verkörpert ist.

So ist ein Geisteszustand förderlich, der im Buddhismus als Gewahrsein bezeichnet wird.

Das Gehör genießt das sanfte Summen des Wasserkochers, das „der Musik des Windes in den Kiefern“ oder „dem Gurgeln eines Gebirgsbaches“ ähneln kann. Das Vergnügen des Riechens und Schmeckens feinen Tees ist offenkundig. Das Auge erfreut sich an den aufsteigenden Dampfwölkchen, den Formen und Farben des Zubehörs und seltener Objekte; es sieht das zarte Grün oder die Bernsteinfarbe des Tees. Der Tastsinn fühlt die Oberfläche des Teegeschirrs, die Wärme der Tasse, die Beschaffenheit der Teeblätter.

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Tee-Utensilien

 

 

Auf der „Kaskadenlandschaft“ aus Wurzelholz:

  • Teepinzette zum Ausräumen der Kanne
    (ganz hinten im „Köcher“)

  • Vier Teeschalen,
    je eine flache zum Trinken und eine hohe zum Riechen

  • (rechts davon)
    Teetrichter zur Teebetrachtung und Teelöffel

  • (rechts in der Tonschale)
    Teekanne zur Zubereitung für 4-6 Personen

  • (links davon) Teekanne zum Servieren

Im Vordergrund:

  • Tassen zum Riechen und Trinken, auf kleinem Servierbrett

  • Teekanne zur Zubereitung für 1-2 Personen, auf kleinem Untersetzer

 

An einer Teestunde teilzunehmen

ist eine Möglichkeit,

zum Hier und Jetzt zu finden –

zur Schönheit des Augenblicks.

 

© T.M.FIEDLER 1999, 2018

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