Gedanken und Zitate

 

 

Vortrag vom Do., 7.4.2011, anlässlich der Tagung der Arbeiterkammer Wien und der
PFIRB (Plattform für Interreligiöse Begegnung):
"Arbeit und Religion - Betrieblicher Umgang mit Vielfalt"

 

Buddhismus und Wirtschaftsethik

(Buddhistische Ökonomie)

 

Thomas M. Fiedler

 

Der Buddhismus hat im Bereich der Ökonomie interessante Sichtweisen anzubieten und ist dabei, in vielen wissenschaftlichen Disziplinen, nachhaltige Paradigmenwechsel anzustoßen. Er setzt auf persönliche Erfahrung, die durch Meditation überprüft wird. Theorien, Vermutungen oder Annahmen, die nicht durch die eigene Erfahrung bestätigt werden, haben für ihn nur eingeschränkten Wert.

Der Buddhismus hat teilweise radikal andere Einsichten als das vorherrschende ökonomische Denken.

Aber es gibt keine "buddhistische Ökonomie" als fertiges theoretisches System. Dennoch liegen Ansätze zur Entwicklung einer buddhistischen Wirtschaftslehre vor. Gemeinsam ist diesen Konzepten die Absicht, aus Grundsätzen des Buddhismus, vor allem der Lehre von der Gewaltfreiheit (ahimsa) und des Mitgefühls (bodhicitta), einen Gegenentwurf zum Menschenbild des Egoismus in der kapitalistisch-marktwirtschaftlichen Wirtschaftsform vorzulegen. Die Notwendigkeit einer ethischen Beschränkung des wirtschaftlichen Egoismus wird keineswegs nur von Buddhisten betont. Es lässt sich hierbei aber im Vergleich zu anderen ethischen Systemen eine durchaus andere Zielrichtung erkennen. Zwar wird auch im Buddhismus die zentrale Rolle von ethischen Regeln betont; die Ethik dient allerdings gleichsam nur als Basis zu einer Veränderung des Handelns aus Erkenntnis und Überzeugung.

Die Betonung der je eigenen Überzeugung und Motivation, der direkte Bezug auf das Individuum verleiht der buddhistischen Wirtschaftsethik ihren eigentümlich modernen Charakter. Darin liegt auch eine gemeinsame Gesprächsbasis für den Dialog mit der liberalen Wirtschaftstheorie. Während jedoch der Liberalismus von dem methodischen Postulat einer unveränderlichen, egoistisch vorprogrammierten Menschennatur ausgeht, hält der Buddhismus an der Veränderbarkeit der Individuen durch rationale Einsicht und einer Veränderbarkeit der Motivation fest.

 

Der Markt als Produkt menschlichen Handelns

 

Der Buddhismus ist eine atheistische Religion, auch in dem Sinn, dass niemals ein „heiliger Zweck" gewaltsame Mittel heiligt: Weder im Staat noch in der Wirtschaft. Zwar tolerieren verschiedene Varianten des Buddhismus „Geister und Götter" als Bestandteil der jeweiligen lokalen Volksreligionen in Tibet, China, Thailand oder Japan, doch sie betonen stets, dass es sich dabei letztlich um Projektionen des eigenen Geistes handelt, nicht um fremde Schicksalsmächte. Es gibt im Buddhismus keine transzendente göttliche Ordnung, die in der weltlichen offenbar würde. Deshalb ist aber auch der Markt nicht eine quasi-naturhafte Instanz mit höherer Vernunft. Es gibt keine "unsichtbare Hand". Der Markt ist nur ein Produkt des menschlichen Handelns, und dieses Handeln wird vielfach von Täuschungen und verwirrten Emotionen geleitet.

Die Notwendigkeit von Institutionen zur Regelung und Organisation der Wirtschaft wird von der buddhistischen Ökonomie keineswegs verneint; doch auch für die Staatsverwaltung zielen alle Vorschläge wiederum auf die individuelle Motivation, unter Verzicht auf äußere Gewalt.

Obgleich sich im New Age-Kapitalismus oder in der Managementliteratur häufig ein modisches Kokettieren mit buddhistischen Vorstellungen findet (vielfach unter dem Schlagwort "Zen" oder "Tao"), muss doch auf eine grundlegende Differenz hingewiesen werden. Die buddhistische Ökonomie ist eine kritische Ethik. Ihre Absicht ist es nicht, ein bestimmtes Verhalten vorzuschreiben, vielmehr wird der Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung, zwischen Motivation und Handlungsresultat betont. Ziel ist es, das eigene Handeln zu erkennen und darauf aufbauend als freiwillige Konsequenz auf negative Handlungen zu verzichten.

Auch als ökonomische Lehre bleibt der Buddhismus vor allem eine Methode, ein Geistes- und Motivationstraining, das auf Erkenntnis abzielt. Ein Kernsatz des Buddhismus lautet, dass es deshalb so viel Leid, Frustration und Abhängigkeit von "Sachzwängen" in der Welt gibt, weil die Menschen in ihrem Handeln einer Täuschung erliegen. Und diese Täuschung beruht auf dem Glauben, ein von anderen Lebewesen getrenntes, auf einem unabhängigen Ich beruhendes Individuum zu sein.

 

Das "Ego" ist keine starre Wesenheit

 

Preisbewegungen und wirtschaftliche Abläufe – die Profit- oder Nutzenmaximierung vereinzelter Eigentümer –, gilt für die buddhistische Ökonomie als Quelle fast aller Probleme, ökonomischer Krisen und sozialer Ungerechtigkeit.

Das "Ego" ist, sagen die Buddhisten, keine starre Wesenheit. Es ist ein illusionärer Prozess, in dem die Menschen, angetrieben von verwirrten Emotionen, um ein fiktives Zentrum kreisen. Wie funktioniert diese Ego-Täuschung? Andere Menschen, Tiere, Pflanzen oder leblose Dinge werden von uns sortiert nach einem schon dem neugeborenen Säugling vertrauten Prinzip des Ergreifens oder der Ablehnung, bei Erwachsenen entfaltet als Begierde und Ablehnung. Diese beiden emotionalen Grundtendenzen ("Begierde und Ablehnung") beruhen auf der Täuschung ("Unwissenheit"), Lebewesen oder Dinge seien substantielle, bleibende und unveränderliche Wesenheiten. Wenn man etwas, das vergänglich ist, als etwas Unvergängliches ergreift und festhält, dann entsteht Frustration, sobald sich die Wahrheit zeigt: Beziehungen zerbrechen, der eigene Körper altert, Reichtümer schwinden, errichtete Mauern und Grenzen fallen – kurz, das, was man festhalten möchte, zerrinnt unter den Fingern.

Diese „drei Gifte" der Gier, der Ablehnung und der Glaube an das bleibende Wesen der Dinge lassen sich in der Wirtschaft sehr konkret aufzeigen als Grundlage marktwirtschaftlicher Dynamik: Die "Gier" erscheint hier als Profit- oder Nutzenmaximierung; die Ablehnung oder Aggression entfaltet sich als Wettbewerb, der global sehr selten mit fairen Mitteln geführt wird; und schließlich dreht sich dieser gesamte Prozess um die Jagd nach einem bloßen Schein, dem Schein des Geldes. Obgleich diverse Börsen–Crashs, die Entwertung ganzer Fabrikanlagen durch neue Technologien oder durch das Auftreten neuer Wettbewerber die Scheinhaftigkeit aller Werte in der Welt der Ökonomie täglich zeigen, werden auf dieser fiktiven Grundlage dennoch Entscheidungen getroffen, Investitionen geplant, Arbeitskräfte eingestellt oder entlassen, Ausbildungsgänge für Hochschulen konzipiert oder Steuern erhoben und Staatsausgaben getätigt. Zu keiner Zeit vorher war die große Macht des Scheins deutlicher sichtbar als in der globalen Ökonomie: Über Nacht kann sich ein Boom, der eben noch Reichtum hervorbrachte, in eine Krise verwandeln und ganze Volkswirtschaften ins Elend stürzen. Mussten früher buddhistische Lehrer ihren Schülern die Macht des Scheins an eher seltenen Beispielen illustrieren, so genügt es heute, einige Tage lang The Wall Street Journal zu lesen.

 

Die Täuschung ist der Glaube an ein "Ego"

 

Ein Handeln, das letztlich auf einer Täuschung über die menschliche Natur und die Welt beruht, muss zu unheilvollen Konsequenzen führen. Dieser Gedanke, im Buddhismus als "Wahrheit vom Leiden" ausgedrückt, hat unmittelbar ökonomische Implikationen. So lassen sich z.B. viele Wirtschaftskrisen auf trügerische Erwartungen zurückführen: Crashs an Börsen oder ganzer Märkte beruhen auf irrtümlichen Annahmen über die künftige wirtschaftliche Entwicklung. Und derartige Täuschungen paaren sich immer wieder mit einem der beiden anderen Gifte "Gier" oder "Ablehnung". Letztlich, so kann man die empirische Grundthese der buddhistischen Ökonomie formulieren, müssen sich alle Handlungen, die von den drei Giften (Unwissenheit, Gier, Ablehnung) gelenkt werden, schließlich auch gegen die Handelnden selbst kehren. Und das wichtigste Ziel einer kapitalistisch organisierten Wirtschaft – der Gewinn – erweist sich als endlos flüchtige Größe. Man erreicht nie das Ziel, weil die Geldgier des einen durch die Geldgier des anderen stets in einem aggressiven Wettbewerb aufgehoben wird. Die schwarzen Zahlen des Vorjahres sind angesichts aktueller Verluste nur Schnee von gestern, und jedes erreichte Vermögen ruft nach weiterer Steigerung. Einem unerreichbaren Ziel nachzujagen, ist aber eine Illusion, die sich im Wettbewerbsprozess wechselseitig und interdependent als soziale Wirklichkeit stabilisiert.

Die Beobachtung, dass das menschliche Leben trotz aller ökonomischen Reichtümer immer wieder in Enttäuschungen endet, findet in der buddhistischen Ökonomie eine einfache Erklärung: Ent-Täuschungen setzen offenkundig eine Täuschung als ihre Ursache voraus. Und diese Täuschung ist der Glaube, wir hätten oder seien ein getrenntes, bleibendes Ego. Das Ego ist das fiktive Zentrum des Strebens nach mehr Geld, Macht, Lust oder Anerkennung. Und dieses Ego ist – in buddhistischer Sprechweise – "leer" an einer bleibenden Substanz. Der Gedanke ist einfach: Wenn es keine isolierten Lebewesen und Dinge gibt, die aus sich selbst heraus existieren, wenn also alle Lebewesen und Dinge durch Ursache und Wirkung miteinander verbunden und vernetzt sind, dann muss ein Handeln, das ein isoliertes Individuum und dessen ängstlich abgegrenztes Eigentum in den Mittelpunkt stellt, zu enttäuschenden Konsequenzen führen. Auch die ökonomische Theorie wurde auf ihre Weise zu dieser Einsicht genötigt: Der Versuch, ökonomischen Gütern einen inneren Wert (Nutzen oder Arbeitswert) beizumessen, ist gescheitert. Ein Ding hat erst durch einen Preis einen ökonomischen Wert, und die Preise sind vielfältig voneinander abhängig. Man kann keinen Wert von der übrigen Wirtschaft trennen und festhalten. Die gegenseitige Abhängigkeit und Vernetzung aller menschlichen Handlungen untereinander und von der Natur ist eine Tatsache.

Die buddhistische Ökonomie fordert eigentlich nur, diese unstrittige Erkenntnis auch zur Grundlage des Handelns zu machen, sie hält der alltäglichen Welt der Wirtschaft nicht ein fremdes Ideal entgegen, sie appelliert an die Verantwortung und die Einsicht jedes Individuums.

 

Unter Verwendung eines Textes von Prof. Dr. Karl-Heinz Brodbeck.

Vielen Dank für die freundliche Genehmigung.

Weiterführende "Beiträge zur Grundlegung einer buddhistischen Ökonomie" unter http://193.174.81.9/professoren/bwl/brodbeck/buddoek.pdf

 

TEXT als PDF (download):

"Buddhismus und Wirtschaftsethik"

 

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