Texte, Lyrik, Dramolette

Thomas M. Fiedler

 

 

Mein Weg zum Buddhismus
 

Günter Haberl  (Uni Wien)

im Gespräch mit

Thomas M. Fiedler

 

 

Aufgezeichnet in Wien, am 6. Mai 2011

 

 

H: Sie sind ja Mitglied der buddhistischen Religionsgesellschaft, sind aber nicht hineingeboren. D.h., irgendwann hat es einen Beitritt gegeben, irgendwann hat es angefangen - der erste Kontakt mit dem Buddhismus? Wie haben Sie das erlebt? Wie haben Sie das in Erinnerung?

 

F: Mein Vater war katholisch, die Mutter evangelisch und wir Kinder sind evangelisch aufgewachsen – der Vater war kein praktizierender Katholik. Begonnen hat es so mit 16 Jahren, da haben mich vor allem die Kultur und Künste des Zen-Buddhismus interessiert.

 

H: Die Meditation

 

F: Nein, noch nicht – nur die Künste, so Dinge wie Bogenschießen, Kalligrafie und die Kultur. D.h., ich habe damals schon die Hälfte von meinem Zimmer chinesisch eingerichtet gehabt – chinesische Möbel, Beleuchtungskörper, und ich habe schon meine Vorliebe für den Tee entwickelt – ich bin kein Kaffeetrinker, noch immer nicht.

 

H: Haben Sie da andere Personen gekannt, die Sie auf das gebracht haben?

 

F: Initiiert war das eigentlich von meinem Vater. Da gab es eine China-Verkaufsausstellung in einem großen Kaufhaus in der Mariahilfer Straße. Das war ein Novum. Das hat es vorher noch nicht gegeben – damals gab es ein einziges China Restaurant in Wien - und da hat er mir ein paar Stücke, die mir gut gefallen haben, gekauft: einen chinesischen Paravent, eine chinesische Ampel und einen kleinen Schrank.

Und was auch noch hineinfällt ist, dass wir damals in der Handelsakademie eine Gruppe von jungen Leuten waren, die sich oft getroffen hat und so irgendwie versuchte – postpubertär – einen Sinn des Lebens zu finden. Wir haben uns dabei auch mit den Bibelinterpretationen oder Bibelsichtweisen beschäftigt, aber nicht anfreunden können. Das hat für uns nicht gepasst. Aber dann haben wir herausgefunden, wenn man ein bisschen die Interpretation ändert, dann würde es passen. Ich kann mich noch konkret an ein Beispiel erinnern, an die Kreuzigungsszene und diesen überlieferten Ausspruch: „Vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“. Und wir haben dann plötzlich erkannt: Der redet nicht mit irgendeinem Gott, sondern der sagt das zu sich selbst! Und sonst gibt es nichts, außer ihm. Und da plötzlich hat für uns das Weltbild wieder gestimmt.

Und dann war da noch ein Jugenderlebnis. Ich war ganz verliebt in eine, damals schon Studentin – ich war noch Schüler. Ich habe erst später gemerkt, dass sie um einige Jahre älter ist als ich – und die hat mir ganz klassisch „Siddharta“ von Hermann Hesse geschenkt. Da habe ich zum ersten Mal sozusagen etwas spirituellen Hintergrund gelesen - und war ganz fasziniert und enttäuscht: Weil das, was wir uns mühsam erarbeitet haben, das gab’s schon – nämlich im Buddhismus.

Die Jahre danach hab ich mich dann immer nur literarisch, intellektuell mit der buddhistischen Philosophie auseinandergesetzt. Habe viele Bücher gelesen und bin dann irgendwann bei dem Punkt angekommen, wo ich gemerkt habe, dass ich jetzt nichts mehr lesen brauche, weil ich mehr oder weniger schon alles gelesen habe, aber sich dadurch nichts verändert hat.

 

H: Das, was Sie gelesen haben, waren aber nicht rein buddhistische Texte.

 

F: Nein, nicht die buddhistischen Quellentexte, sondern Sekundärliteratur, nur Zen-Bücher.

 

H: Beschäftigung mit der Literatur oder auch schon in persönlichen Gesprächen?

 

F: Nein, noch nicht, nur mit Literatur und den Künsten – Dinge so wie diesen Räuchertopf, ein „Lavastein“, den ich gemacht habe. Oder Bogenschießen. Solche Dinge haben mich interessiert umzusetzen. Und wie ich gemerkt habe, dass ich nicht weiterkomme, da bin ich das erste Mal in das buddhistische Zentrum gegangen – am Fleischmarkt. Dort gibt es einen japanischen Zen-Orden.

 

H: Wann war das ungefähr?

 

F: Ich würde sagen, das war irgendwann in den 80er Jahren. Ich habe es mir deshalb nicht gemerkt, weil ich dort nur vier Wochen dabei war und mir gedacht habe, ich sitze da halt so vier Mal - also jede Woche einmal am Abend – und dann ist die Erleuchtung da und ich kann das Ganze abhaken. Aber es war gar nichts da. Ich bin dort nur gesessen. Mir hat niemand etwas gesagt oder erklärt. Und da habe ich mir gedacht, die machen irgendetwas falsch – dann gehe ich lieber wieder.

 

H: Ihre Vorstellung war, die Erleuchtung …

 

F: … kommt sofort, dass das so schnell geht. So wie in der Zen-Sekundärliteratur immer beschrieben: Der geht und stolpert über einen Topf und ist dann erleuchtet.  Also, ohne dass ich mir das so bildlich vorgestellt habe, sondern es war eher nur so ein Gefühl, dass das jetzt so zu sein hat. Das was ich jetzt sage, ist schon eine Reflexion.

Und dann, 1993, war ich einmal mit meiner damaligen Frau – einer Taiwan-Chinesin und späteren Mutter meines Buben – in Taiwan und habe einen Zen-Menschen kennengelernt, also die ganze Familie. Und der liebevolle Umgang miteinander, auch der 16-18jährigen Kinder untereinander und mit den Eltern, das war so ein harmonisches Bild. Und da habe ich mir gedacht, das möchte ich auch erreichen.

Und als ich zurückgekommen bin, habe ich in dem Rinzai-Ji-Orden meinen Platz gefunden und die nächsten Jahre meditiert. Habe dann - dazwischen war ich zwei Amtsperioden lang Vorsitzender der buddhistischen Gemeinden in Österreich - ein Meditationszentrum in der Biberstrasse geleitet – das gibt es noch immer, aber nicht mehr mit mir.

Dann kamen die Trennung von meiner Frau und die Zurücklegung dieser Funktionen. Weil es mir zu viel war. Ich habe den Buben gehabt, damals mit vier Jahren, und das wir mir wichtiger. Und habe mich nur mehr auf den interreligiösen Dialog für die buddhistische Religionsgesellschaft beschränkt. Diese Ämter habe ich dann 2009 auch zurückgelegt und mich nur mehr für den interreligiösen Dialog in

der „PFIRB - Plattform für interreligiöse Begegnung“ engagiert.

Und seit 2009 bin ich Mitglied beim Fo-Guang-Shan-Orden – also chinesischer Zen-Buddhismus – und deren Sprecher.

 

H: Ihr Einstieg in den Buddhismus war – wenn ich das jetzt richtig interpretiere – als Sie in Taiwan waren und diese Art der Lebensgemeinschaft gesehen haben.

 

F: Genau – diese ganze Gemeinschaft, also auch die taiwanesische Bevölkerung, die ja großteils buddhistisch geprägt ist.

 

H: Und da haben Sie gedacht, das ist etwas, das möchte ich tun, wenn ich in Österreich bin. Das war, sozusagen auch aus Ihrer Sicht, die Entscheidung gewesen, jetzt übe ich wirklich und trete in eine buddhistische Gemeinschaft ein.

 

F: Ja, genau. Das war also eine schrittweise Entwicklung. Und die frühe Liebe zum Asiatischen.

In der Jugendzeit hat mich die asiatische Lebensweise und Philosophie interessiert. Meine erste Frau war dann Taiwan-Chinesin. Meine jetzige – seit Jänner 2006 sind wir zusammen – Lebenspartnerin ist Festland-Chinesin. Nach dem das erst nicht funktioniert hat, habe ich mir gedacht: “Festland“ klingt schon „fester“: also eine Festland-Chinesin. Es ist irgendwie mein Weg, warum auch immer. Ich habe vor vielen Jahren einen Freund und gescheiten Menschen dazu gefragt und der hat mir gesagt: „Wenn Du sicher bist, dass Du nicht vor irgendetwas wegläufst, dann ist das so. Dann nimm es einfach zur Kenntnis, dass es so ist. Aber wenn Du wegläufst, dann kann ich Dir sagen, egal wo Du hinläufst, auch wenn es Asien ist, Du kannst nicht davonlaufen.“ Da habe ich mich dann eine Weile damit beschäftigt und festgestellt, ich laufe vor gar nichts weg. Ich bin sehr zufrieden und glücklich – unverschämt glücklich eigentlich seit fünf, sechs Jahren. Und dann passt das auch so.

 

H: Also wenn ich jetzt ein Feedback geben darf. Ich verstehe Sie so: Sie haben nicht einen Konflikt gehabt, den Sie bewältigen wollten – eine Krise oder so was. Sondern waren auf der Suche nach dem Sinn … Wo Sie dann im Christentum, in der christlichen Gemeinschaft nicht die Antworten gefunden haben. Aber eine sinnhafte Antwort auf die Welt oder die Beziehung der Menschen haben Sie dann im Buddhismus gefunden.

 

F: Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Nämlich dieses Krisenhafte. Mit meinem ersten Lehrer – er ist 2010 verstorben – hatten wir sogenannte Dharma-Studien, wo man sich mit buddhistischen Texten beschäftigt. Und ich habe immer wieder Dinge kritisch angemerkt. Da hat er mich irgendeinmal zu sich geholt und gesagt: „Du, es stimmt ja, was Du sagst. Aber sag’s nicht vor den anderen.“ Und hat mir dann gesagt, dass eben fast alle aus einer Krisensituation zum Buddhismus kommen – vielleicht war ich damals der Einzige, der zur Zen-Meditation nicht aus einer Krisensituation heraus gekommen ist. Und ich bin natürlich von mir ausgegangen. Ich habe mir gedacht, ich komme aus einer freudvollen, angenehmen Lebenssituation und so geht es jedem dort. Viele – und das ist ein wichtiger Punkt – die in Österreich zum Buddhismus kommen, sind aus einer Sinnkrise oder Lebenskrise dorthin gekommen. Bei mir war es eben aus einer sehr schönen, erfüllten Zeit und ich habe mir gedacht, jetzt, wo es mir gut geht, nütze ich doch diese freie Energie, um intensiv zu üben, um Meditationstechniken zu erlernen, meditative Praxis zu machen.

 

H: Welche Aussage war das von Ihnen, die Sie, aus Sicht des Lehrers, nicht vor den anderen sagen sollten?

 

F: Ich kann mich nicht mehr erinnern, was es war. Aber, so wie ich mich kenne, würde ich sagen: Es war eine nach außen hin möglicherweise despektierlich wirkende Aussage über Buddhismus oder Buddha. Die klar und richtig ist, die aber, wenn jemand noch in einer Suchphase ist, möglicherweise verwirrend oder verunsichernd ist. Wenn man beginnt zu üben, dann hat sich ja noch nichts geändert. Man ist ja noch immer der Mensch, der nach Festhaltepunkten, nach Ankern, nicht nur sucht, sondern diese auch braucht. Dann ist es nicht der richtige Zeitpunkt, wenn ich diese ganzen Anker über Bord werfe und sage: Es gibt gar keine Anker! Ihr haltet euch an etwas fest, was gar nicht da ist. Sondern, das ist ein Weg, den ein jeder selbst zu gehen hat und es daher nicht hilfreich ist, wenn ich so etwas sage. Also z.B. das Beschäftigen mit buddhistischen Quellentexten habe ich immer als etwas Unsinniges gehalten. Weil Buddha ja selbst in diesen Texten sagt, dass die Texte „Unsinn“ sind, dass sie keinen „Wert“ haben.

 

H: Obwohl es unzählig viele gibt.

 

F: Die Quellentexte wie Diamant-Sutra, Herz-Sutra, Lotus-Sutra, sind nur so eine Hand voll. Ich rede jetzt nicht vom Buddhismus allgemein, sondern ich kann nur aus meiner Richtung - also Zen – etwas sagen. Und da auch wieder nur aus meiner persönlichen Erfahrung mit dem Zen-Buddhismus.

Mittlerweile habe ich diese Ablehnung der Beschäftigung mit den Texten aber auch geändert. Es gibt auch im Fo-Guang-Shan jeden ersten Sonntag im Monat Dharma-Studien, wo ich eingeladen wurde, diese zu leiten. Und ich habe bemerkt, dass die Menschen, die herkommen, um sich mit den Texten zu beschäftigen, suchend sind. Und dass es für sie wichtig ist, sich mit dem Text auseinanderzusetzen. Sodass es sehr wohl in einem gewissen Entwicklungsabschnitt eine wichtige Funktion haben kann, sich mit diesen Texten zu beschäftigen. Obwohl es in der Sache selbst völliger „Unsinn“ ist, Zeitverschwendung. Wenn man die Bibel liest, dann hat das auch keinen „Sinn“. Ich hoffe, Sie verstehen jetzt, wie ich es meine, dass es nicht eine Beleidigung der Christen oder der Textleser ist, sondern …

 

H: Ich weiß noch nicht, ob ich es richtig verstehe, wenn Sie meinen, dass es sinnlos ist, einen Text zu lesen. Wie würden Sie das begründen?

 

F: Weil der Text nur ein Wort ist, das intellektuell verstanden werden kann, aber emotional noch nichts bewirkt.

 

H: Würden Sie das gesprochene Wort auch so sehen?

 

F: Das ist das Gleiche für mich. Das gesprochene Wort kann immer nur erläuternd sein, für jemanden, der das worum es geht, schon gut kennt. Ich nehme es mit meinem Beispiel der „Milch“. Ich glaube, ich habe das bei meinem Vortrag gebracht [Fo-Guang-Shan-Tempel, Führung/Vortrag am 13.4.2011].

 

H: Ja, das haben Sie gebracht: Jemand der Milch nicht kennt, dem kann man nicht erklären, wie Milch schmeckt.

 

F: Wenn wir beide schon Milch getrunken haben, dann können wir uns darüber austauschen: „Da ist diese Feinheit, das müssen Berggräser sein, eine Bergmilch.“ – „Ah ja, genau, das merke ich auch …“

Aber wenn Sie noch keine Bergmilch getrunken haben oder gar keine Milch, dann kann ich sagen, was ich möchte …

 

H: Das Wesentliche ist also das Erleben!

 

F: Genau, das Erfahren! Das ist das, was ich auch im Zen, im buddhistischen Weg, in dem ja der Kern ist, etwas zu erfahren, so schätze.

 

H: Für Sie ist das Wesentliche die Erfahrung, die nicht durch Worte …

 

F: … ersetzbar ist. Worte können das Ganze nur erläutern. Oder so wie es in den buddhistischen Quellentexten auch gut herauskommt: Man kann mit Worten jemanden, der eben auf einem Weg ist, zumindest sagen, wo es nicht hingeht. Also ich kann über Milch z.B. sagen: Milch ist nicht rot. Jetzt weiß ich, ich kann alle roten Flüssigkeiten abhaken, die sind nicht Milch. Und ich kann mich auf andere konzentrieren. Also ich kann mit Worten schon etwas Unterstützendes erreichen, aber das Wort kann die Erfahrung nicht ersetzen.

 

H: In den religiösen Bewegungen unterscheidet man ja die mystische Zugangsweise. Würden Sie das in dieser Richtung sehen? Sozusagen eine persönliche Verbindung mit dem – im allgemeinsten Sinn gesprochen – Absoluten zu versuchen.

 

F: Ja. Aber wir sind ständig mit allem verbunden, absolut. Das müssen wir nur wieder entdecken. Also wenn man z.B. die Predigten und Traktate von Meister Eckehart – den habe ich erst nachdem ich Buddhist war gelesen – wenn man die liest und das Wort „Gott“ gegen das Wort „Buddha-Natur“ austauscht, dann liest man ein Zen-buddhistisches Buch! Sonst braucht man gar nichts auszutauschen. Also hätte ich Meister Eckehart früher gelesen, wäre ich vielleicht im Christentum geblieben und hätte mir etwas Derartiges gesucht. Aber ich weiß nicht, ob es das gibt, ob es diese Richtung im Christentum gibt. Es hätte mir dann vielleicht auch der asiatisch kulturelle Teil gefehlt.

 

H: Ein Unterschied ist: Im Christentum, Judentum und Islam ist ja die Vorstellung eines persönlichen Gottes da. Im Buddhismus gibt es ja diese Vorstellung eines persönlichen Gottes nicht.

 

F: Das was Meister Eckehart als Gott bezeichnet ist buddhistisch – oder umgekehrt. So könnte ich mir einen Gottesbegriff vorstellen.

 

H: Wie war das Umfeld während ihres Weges zum Buddhismus? Es war ja keine plötzliche Wandlung, es ist eigentlich sehr langsam gegangen. Der Staat Österreich ist sozusagen neutral. Wie war das in ihrem Freundeskreis oder Berufsumfeld? War ihr religiöser Wechsel irrelevant? Oder hat es da in positiver oder negativer Richtung Stellungnahmen gegeben?

 

F: Also ich kann das nur ab dem Zeitpunkt sagen, wo ich wirklich mit der Meditationspraxis begonnen habe, 1993 muss das gewesen sein. Da habe ich das gemacht, was offensichtlich zu dem Übungsweg dazugehört. Ich habe die erste Zeit mein Umfeld genervt, weil ich ja jetzt so „ganz anders“ bin. Das war aber eine relativ kurze Phase, weil es mir bald aufgefallen ist. Z.B. bei einer Essenseinladung bei Freunden habe ich „formal“ zu essen begonnen, wie man im Zendo [Zen-Meditationsraum] an Meditationstagen isst. So etwas meine ich mit „nerven“. Es hat niemand etwas gesagt, es haben alle irgendwie hingenommen. Ich war schon immer ein Querdenker. Und die, die mich gekannt haben, haben das eher als Faszinosum gesehen. Ich sage heute, ich habe sie damit genervt. Vielleicht hat sich gar niemand genervt gefühlt.

 

H: Wie war das in ihrem Berufsumfeld?

 

F: Ich war Trainer bei einem großen Finanzdienstleister, Vertriebstrainer und Mediator. Es hat jeder gewusst, dass ich Buddhist bin. Und da habe ich nur positive Feedbacks gehabt. Wie z.B. einen Kollegen der zu mir gekommen ist und gesagt hat: „Jetzt habe ich Sie da gesehen, bei dieser Auseinandersetzung. Sie sind völlig ruhig geblieben. Also ich hätte mich fürchterlich aufgeregt. Wie machen Sie das?“ Und Menschen die zu mir gekommen sind in vertriebsmäßigen Krisensituationen und Unterstützung und Hilfe gesucht haben. Aus meinem Erfahrungsschatz der buddhistischen Übungen habe ich dann „Werkzeugkästen“ individuell zusammengestellt und damit eine sehr hohe Erfolgs-Quote gehabt. D.h. von den Kollegen, die Umsatzeinbrüche gehabt haben und die bei mir waren, ist die „Rückholquote“ bei 80% gewesen. Und das ist enorm - das ist natürlich auch in der Firmenleitung aufgefallen. Ich habe versucht zu relativieren und bewusst zu machen, woher die Ängste kommen. Und dass nicht nur ich Angst habe, sondern der andere auch. Und habe sozusagen diese Angst oder Unsicherheitspotenzial umgedreht, nämlich dass derjenige, der Angst oder Unsicherheit gehabt hat, jetzt das Bedürfnis hatte, dem anderen zu helfen, seine Unsicherheit abzubauen. Und plötzlich hat sich das Problem aufgelöst.

 

Ich bin selbst Vermögensberater. Seit sieben, acht Jahren mache ich meine Kontakte mit meinen Klienten und meine Banktermine nur so, wie Sie mich jetzt sehen – also mit diesem chinesischen [schwarzen] Gewand. In der Vermögensberatung ist wie im Bankgeschäft ein Anzug Pflicht. Bei einer Nachmittagssitzung habe ich das einmal angehabt und zu meinen Kollegen gesagt, ich würde das in Zukunft gerne statt eines Anzugs tragen, und gefragt, ob irgendetwas dagegen spricht. Die Meinung war, dass es nicht einzuordnen, aber auch nicht „freizeitmäßig“ sei - also warum nicht. Und seit der Zeit habe ich keinen Anzug mehr angezogen. Es hat nirgendwo Irritation oder Probleme gegeben. Ich glaube, es ist, wie man als Mensch wirkt, was man ausstrahlt. Menschen spüren es instinktiv, ob da jetzt „Gefahr“ droht oder ob das ein sicherer „Hafen“ ist. Da kann ich dann im T-Shirt kommen und es wird niemand etwas Negatives dabei empfinden.

 

H: Also das heißt – nach dem anfänglichen Erstauntsein der Familie – im Berufsleben ein positives Feedback. Wobei das aber scheinbar nicht der Religionszugehörigkeit zuzurechnen ist, sondern ihrer Art zu sein, ihrer Art, wie Sie sich geben, die als sehr angenehm oder sehr konstruktiv empfunden wird.

 

F: Die aber vom Buddhismus geprägt ist.

 

H: Und das wollte ich auch nachhaken: ich habe in Erinnerung, Sie sagten, das Positive in den Gesprächen, das Sie beibringen können, ist, zu zeigen, der andere ist auch mit Angst behaftet, d.h., das ist ein Mensch, so wie man selbst ist. Und wenn man das klar macht, dann gibt es eine freiere Beziehung. Wie weit ist diese Sicht nun buddhistisch?

 

F: Das ist alles buddhistisch, was ich bis jetzt gesagt habe, hoffe ich. Eine buddhistische Kernaussage ist ja, dass alles Leben Leiden ist. Woher kommt dieses Leiden? – das ist die zweite Aussage. Und die dritte ist: Was kann ich tun, um das zu überwinden.

 

H: Und das Leiden kommt aus der Bindung an die Welt?

 

F: Nein, aus der Bindung an das Ego. Im Buddhismus nennt man das die drei Gifte. Nämlich „Hass und Gier“ – also, etwas nicht wollen oder etwas wollen – und das dritte ist die Unwissenheit über diesen Zusammenhang. Es sind also nur zwei Dinge. Alles Leiden – auch nur diese kleinen Dinge, dieses Weggestoßen-Fühlen – entsteht aus einem der beiden „Gifte“, nämlich daraus, etwas haben zu wollen oder glauben, haben zu müssen, oder etwas nicht haben zu wollen, etwas abzulehnen.

 

Ein einfaches praktisches Beispiel: Wenn ich im Telefonverkauf bin, dann muss ich jemanden anrufen, den ich nicht kenne. Das bewirkt bei vielen Menschen eine Unsicherheit, manchmal sogar Angst.

 

Und da war es für mich bei meinen Seminaren immer wichtig, dass ich nicht ein intellektuell verständliches Seminar mache, sondern ein emotional erfahrbares. Weil mir klar war, ich kann intellektuell zwar etwas verstehen, aber da ändert sich noch nichts. Ich habe x Seminare besucht und mir sehr oft gedacht: ja, genau, das ist richtig, super, jetzt wird alles anders – bin hinausgegangen und es war nichts anders. Weil es eben nur rein intellektuell verständlich war.

Ich habe daher immer versucht emotional erfahrbare Seminare zu machen. Das heißt, die Teilnehmer haben nachher mit keinem Menschen darüber gesprochen, was wir gemacht haben. Sie konnten mit niemandem darüber sprechen, weil sie es nicht erklären konnten, weil es emotional war. Und es hat großteils ihr Verhalten verändert.

 

Nehmen wir jetzt wieder das Problem mit der Telefonangst. Wenn ich im Seminar erarbeite, woher die Angst kommt, und zwar nachempfindbar – indem ich das mit emotionalen Beispielen so spürbar mache, dass die Teilnehmer „zusammenzucken“ – und erarbeite, wie man sich dabei fühlt, wie sich jemand anderer dabei fühlt, wenn er angerufen wird, dann bin ich plötzlich in der Situation des Angerufenen. Der Angerufene weiß ja nicht einmal, dass er angerufen wird – ich weiß ja zumindest, dass ich jetzt jemand anrufen werde. Und überraschenderweise hat sich nun ein Mitgefühl bei den Anrufern entwickelt, für den, der angerufen werden soll. Und es gibt nicht mehr ein Beschäftigen mit der eigenen Angst, sondern ein „wie kann ich es machen, dass ich den anderen nicht verunsichere – weil ich mich verunsichern würde“.

 

H: Also das Mitgefühl zu wecken ...

 

F: Genau. Im buddhistischen Weg geht es darum, meine Schattenbereiche wieder zu integrieren. D. h. mir zuzuschauen beim Denken. Die Dinge, von denen ich geglaubt habe, dass sie nichts mit mir zu tun haben, zu erkennen. Und mit jedem dieser Stücke komplettiere ich mich und erkenne auch den Anderen kompletter. Er ist mir weniger fremd. Also, wenn ich von mir das Gefühl von Telefonangst kenne, dann werde ich auch das Gefühl spüren, das ein anderer in dieser Situation hat. Wenn ich es verdrängt habe, dann nicht. Dann kann ich es nicht spüren. Also es ist ein durch diesen meditativen Prozess sich entwickelndes Verändern. Und daher ist es auch ein Wirken dadurch ein Verändern.

 

Noch ein wesentlicher Punkt: Wie merkt man selber, ob man „am richtigen Weg“ ist, kann man es wirklich merken, fehlerlos merken, also ohne sich zu irren oder die Möglichkeit einer Irrung zu haben. Und da hat ein sehr gescheiter Mensch einmal gesagt, „dein Zen, also dein Übungsweg, ist so gut, wie deine Familie, dein Umfeld und deine Freunde ihn für gut empfinden!“ Das war für mich ein ganz wichtiger Kernsatz. Das bedeutet auch, niemanden mit meinem Übungsweg zu nerven, sondern erst wenn mein Umfeld irgendetwas an anderen Reaktionen zeigt, dann kann ich meinen Fortschritt – Fortschritt gibt es nicht wirklich – meine Veränderung messen. Und nicht ob ich jetzt selber das Gefühl habe besser zu sein.

 

H: Also die Anerkennung ...

 

F: Nein, nicht Anerkennung, sondern ...

 

H: Die Beurteilung der anderen ...

 

F: Ja, wenn Menschen fragen, „Wie machst du das?“ oder „Wieso ist das bei dir so einfach?“ oder „Ich leide und habe schlaflose Nächte, in denen ich herumgrüble, und für dich ist das überhaupt keine Belastung, warum verletzt dich das nicht?“ – da merke ich, aha, da ist bei mir etwas anders. Aber selber zu sagen, dass sich irgendetwas verändert hat, meine ich, ist mehr als trügerisch. Und ich würde fast sagen: Hat man das Gefühl bei sich selbst, aus sich selbst heraus, dass sich was verändert hat, so ist man auf dem Holzweg. Dann hat sich noch nichts verändert.

 

Es gibt diesen buddhistischen Spruch, den ich lange nicht verstanden habe: „Bevor ich mich übe in der meditativen Praxis, ist ein Berg ein Berg und ein Fluss ein Fluss. Während ich übe, ist ein Berg kein Berg mehr und ein Fluss kein Fluss mehr. Und nach einiger Zeit der Übung ist ein Berg wieder ein Berg und ein Fluss wieder ein Fluss.“

Was damit gemeint ist, am Beginn ist ein Berg ein Berg und ein Fluss ein Fluss – nur ich bin mir dessen nicht bewusst. Und nach einiger Zeit der Übung bin ich mir dessen bewusst – und das ist die Veränderung. Dass das, was da ist, mir bewusster ist und das verändert offensichtlich auch die Denkweise und die Reaktionen. Und das ist dann etwas, was ein bisschen ein friedlicheres Leben macht.

Es gibt auch Momente, wo ich mich ärgere oder wo ich mich zurückgesetzt fühle. Aber offensichtlich hat sich irgendetwas verändert, weil das eben nicht mehr so oft ist und ich mehr auf glückliche und zufriedene Tage zurückschauen kann.

 

H: Mir ist ein Widerspruch, also aus meiner Sicht, aufgefallen. Sie werden mir das sagen können, ob es ein Widerspruch ist, nämlich ihre Tätigkeit als Vermögensberater. Da würde ich sagen, Vermögensberatung heißt im weiteren Sinn, ich berate jemand, dass er das bekommt, was er haben will. Und auf der anderen Seite ist ja das Haben-wollen die Ursache für Leid, die es zu vermeiden gilt. Also wenn ich das auf den Punkt bringe, Sie beraten andere, dass sie das kriegen was sie haben wollen, was aber wieder Leid-Ursache wäre.

 

F: Ja. Das ist in der Sache sicherlich richtig. Nur, würde ich das nicht tun, würden diese Menschen auch „haben wollen“. Und da mag es vielleicht hilfreicher sein, dass sie an mich kommen - weil ich sicher bin, dass ich sie nicht „über den Tisch ziehe“ - als sie kommen an jemanden, der zuerst auf seinen Vorteil schaut. Und ich würde nichts ändern, wenn ich es nicht mache. Sondern ich würde möglicherweise sogar einen Schaden dadurch verursachen, indem sie an einen „Hard-Core-Verkäufer“ kommen, der schaut, wo er viel für sich herausholen kann.

 

H: Aber Sie geben nicht mit: Jetzt helfe ich dir, dass du dir ein Vermögen aufbaust, aber in Wirklichkeit ist das nicht das Beste für dich.

 

F: Nein

 

H: ... also, das heißt sozusagen: Jeder ist auf der Stufe, auf der er ist.

 

F: Würde ich so einen Tipp geben, wäre das ja wieder nur ein Satz, ein intellektueller Satz, der emotional nicht verstanden werden kann, sondern nur irritieren oder falsch verstanden werden könnte.

 

H: Aber Sie schließen nicht aus, sagen wir, wenn einer im Gespräch mit Ihnen erfährt, jetzt habe ich zwar was, aber irgendwie komme ich nicht zu einem ruhigen Leben. Weil dann habe ich vielleicht ein viel unruhigeres Leben, da ich Angst haben muss, dass das Vermögen wieder wegkommt. Dass der dann fragt, „Wie machst Du das?“

 

F: Ja, das würde ich. Tatsache ist auch, dass ich in den letzten vielen Jahren meine Erwerbszeit, meine Broterwerbszeit, extrem reduziert habe. Das heißt, ich komme auf maximal zwei Arbeitstage pro Woche. Letzten Monat habe ich mit Erstaunen festgestellt, dass das überhaupt nur ein Arbeitstag pro Woche war, weil da waren die Ostertage und da habe ich mit meinem Buben sehr viel gemacht. Und auch Tatsache ist, dass ich ein Mindest-Einkommen habe und kein Auto. Und in der Pension haben meine Frau und ich ein 30m2 Wohnung, die kann man heizen, da kann man schlafen und essen. Es ist Platz, dass ich ein paar Bücher mitnehmen kann – und der Rest muss weg. Das ist ein ganz angenehmes Gefühl. Und nicht, dass ich jetzt irgendwie schauen muss, dass ich Häuser habe, Autos und andere sogenannte Wertgegenstände.

1999 habe ich mein Auto weggegeben, da ist mein Bub auf die Welt gekommen und das war meine letzte Fahrt, von der Geburtsklinik nach Hause. Und seitdem fahre ich nur mehr Carsharing-Autos. Hier am Westbahnhof habe ich „meinen“ Garagenplatz mit 30 Autos und nehme mir immer nur eines, wenn ich es brauche. Beim eigenen Auto fängt es schon an mit Winterreifen-Wechsel, Pickerl machen und irgendwelchen Reparaturen oder Schäden ... die ganze Zeit ist irgendetwas. Ich sage auch noch heute, ich bin jeden Tag aufs Neue glücklich, dass ich das Auto loshabe. Mein Freund und Arbeitskollege hat meine Leid-Freiheit, was das Auto betrifft, gemerkt. Und das hat bei ihm offensichtlich etwas verändert. Als dann sein Auto gestohlen wurde, da hat er gesagt: „Jetzt probiere ich es so, wie Du es machst, und kaufe mir auch kein Auto mehr.“ Das war so vor sieben Jahren. Und seitdem sagt er mir immer wieder, wie dankbar er für diesen Tipp ist und um wie viel angenehmer es so ist.

 

H: Das ist vielleicht dieses Paradoxon, dass ein Verzicht zu Reichtum führt.

 

F: Ja. Das ist für viele nicht verständlich.

 

H: Ich weiß nicht, ob das eine buddhistische Einsicht ist ...

 

F: Es geht nicht um Verzicht auf etwas, was ich benötige. Wenn ich jetzt Hunger habe, dann wäre der Verzicht auf Essen nicht buddhistisch. Aber wenn ich satt bin und trotzdem noch etwas hineinstopfe, dass mir schlecht wird, dann wäre der Verzicht buddhistisch, weil es mir dann besser geht. Also es ist nichts Karges und nichts – was oft falsch verstanden wird - Nihilistisches und Lebensverneinendes, sondern ich brauche die Sachen nicht mehr. Im Gegenteil, sie wären mir unangenehm, wenn ich sie hätte. Und die vielen Sachen da in meiner Wohnung, das sind Altlasten, die ich versuche schrittweise wegzubekommen. Weil es ist belastend, das viele Zeugs, das ich gar nicht brauche.

 

Und im Buddhistischen ist es dann dieses Wirken, und wenn das auch jemand anderen unterstützt, dann ist das in Ordnung. Aber von mir aus, dass ich da jemandem einen Ratschlag gebe, wäre nicht richtig. Ich denke mir auch nicht einmal etwas. Also ich denke nicht, bei dem sollte ich oder könnte ich was sagen. Weil das habe ich früher oft genug gemacht, dass ich jemanden etwas helfen wollte und dann gemerkt habe, dass das überhaupt nichts Selbstloses war, sondern ...

 

H: Ratschläge sind auch Schläge ...

 

F: Genau. Sondern dass das zum Teil sogar bösartig gemeint war. Also rate ich nichts. Wenn jemand auf mich zukommt, dann kann ich sehr schnell etwas dazu sagen. Und davor kommentiere ich es nicht, sondern nehme es einfach so wahr, wie es ist.

 

H: Ich möchte gerne unser Gespräch mit der letzten Frage abschließen: die Folgen von Ihrem Wechsel vom Christentum zum Buddhismus. Was hat das für Folgen für Sie persönlich, für Ihre Entwicklung gehabt? War es eine Befreiung? Ein erfüllteres Leben? Eine Hilfe im Leben?

 

F: Ja. Ein zufriedeneres Leben. So kann man es sagen. Leidfreier. Es gibt nicht mehr so viele Dinge, die mich nerven oder irritieren oder aus der Bahn bringen. Und es gibt eben sehr, sehr viele schöne Tage. Im "handkeschen" Sinne „geglückte Tage“. Und das ist der große Unterschied zu früher, dem was mir früher so wichtig war, dieses „Nachhecheln“. Mein Vater hat zu mir gesagt, ich habe sicher eine Millionen Schilling [ca. 73.000,- Euro] für Elektronik ausgegeben – das wird schon hinkommen. Ich habe einfach alles haben wollen und es dann doch nicht verwendet. Oder bis ich es verwendet habe, war es wieder überholt. Und es ist ja keine Befriedigung, es ist ja immer nur ein Suchen, immer nur ein Hinterherhecheln; da habe ich etwas, und da will ich noch etwas Anderes oder etwas Größeres oder etwas Neueres.

Auf meiner Homepage habe ich einen schönen Text über Buddhismus und Wirtschaftsethik. Ein Großteil der Probleme, die wir haben, sind aus der Gier oder dem Ablehnen, dem Nicht-haben-wollen heraus. Die Welt funktioniert ja ganz einfach: nach Angebot und Nachfrage. Warum gibt es so viele Reiche und so viele Arme? Würde man alle Grenzen öffnen, dann würden aus den armen Ländern unglaublich viele Menschen hierher kommen. Wir hätten alle sehr viel weniger. Die hätten sehr viel mehr. Würde man das ganz frei zulassen, hätten alle gleich viel. Das ist eine einfache Regel.

 

H: Wenn alle gleich stark wären.

 

F: Dann würden nach Österreich vielleicht noch sieben Millionen Leute dazu kommen, aus armen Ländern. Es würden alle bisherigen Bürger nur mehr die Hälfte verdienen als vorher. Weil es jetzt doppelt so viele sind. Und es könnte jeder mit der Hälfte auch leben. Das wäre überhaupt kein Problem. Und es würde aber dadurch Konflikte – das ist jetzt wieder sehr vereinfacht, es ist natürlich wesentlich komplexer – und es würden damit auch viele Konflikte, die aus dem heraus entstehen, wegfallen. Dass das eine Utopie ist, ist auch klar. Aber es ist zumindest eine nette Utopie.

 

Dieses Ausgleichen-können geht aber nur dann, wenn ich die Zusammenhänge erkenne, warum ich nicht ausgleichen möchte. Und woher das kommt, dieses Nicht-ausgleichen-wollen. Das ist immer ein Suchen, ein Festhalten, ein Bestätigen, ein Darstellen, ein Orientieren. Und wenn ich das nicht mehr notwendig habe, fällt auch die ganze Last des Hinterherhechelns weg. Und es tritt noch etwas auf, nämlich, dass damit eine Sicherheit kommt, die ich vorher gar nicht hatte. Das scheint paradox zu sein, ist aber so. Das heißt, ich fühle mich selber sicherer, als ich vorher war. Also die Ängste, die Existenzängste sind völlig weg. Oder auch die Ängste, irgendwo nicht bestehen zu können.

 

Ich mache jetzt mehr als zehn Jahren Vorträge über Buddhismus. Und das Einzige, was ich als Bedingung stelle ist, ich möchte gerne etwas sagen, was aus meiner Erfahrungswelt kommt, sonst nichts. Das ist so, wie wenn jemand, der Gugelhupf schon tausendmal gebacken hat, vor großem Publikum erzählen soll, wie man das macht. Er wird das völlig entspannt tun. Wenn ich aber über etwas reden muss, was ich nur intellektuell kenne, dann werde ich nervös sein. Weil dann kommt vielleicht eine Frage, die ich nicht beantworten kann. Über den Gugelhupf, den ich schon tausend Mal gemacht habe, da können sie mich fragen, was sie wollen, und ich werde es ihnen sagen können. Und so brauche ich keine Vorbereitungszeiten und gehe völlig entspannt heran.

 

H: Während unseres Gesprächs habe ich mir noch eine Frage notiert. Schwerpunkt, sagen Sie, ist die Erfahrung. Nur intellektuell geht nichts, gibt es keine Veränderung, tut sich gar nichts. Jetzt, sozusagen meine Kontrollfrage dazu: nur Erfahrung und nichts Intellektuelles, würden Sie das auch als möglich sehen?

 

F: Ja und nein.

 

H: Sondern eine notwendige und eine – wie so oft im Leben – wenn auch schwierige Mischung von Intellekt und Erfahrung? Sie sind ja irgendwie durch den Intellekt zur Erfahrung gekommen, wenn ich das richtig sehe? Zuerst war ja nicht eine Erfahrung, sondern war das Lesen.

 

F: Also ich bin ein Kopfmensch und ich habe mir gedacht, es muss doch möglich sein, dass rein mit dem intellektuellen Auseinandersetzen sich etwas verändert. Und das habe ich versucht. Mit dem Vorteil, dass ich es wieder beendet habe - nicht wie Handke, der bei seinen unsinnigen Thesen jetzt schon sein Leben lang bleibt – ich schätze ihn sehr, ich bin Germanist und er hat mich seit meiner Jugendzeit begleitet. Er versucht genau das Unmögliche. Er versucht in allen seinen Texten mit penibler Feinheit das Unmögliche zu machen, nämlich über emotionale Dinge zu schreiben. Und in seinem Buch „Versuch über den geglückten Tag“, versucht er ein ganzes Buch lang zu beschreiben, was ein geglückter Tag ist. Das ist völlig unnötig und unmöglich. Denn entweder ich weiß, was ein geglückter Tag ist, dann reicht mir: Es war ein geglückter Tag. Und er könnte die anderen Seiten freilassen, zum Malen und Zeichnen. Oder ich weiß es nicht, dann nützen seine mühsamen und genauen Beschreibungen nichts. Und ich war auch – darum verstehe ich es gut – immer der Meinung, dass mit dem gesprochenen Wort alles ausdrückbar ist. Deshalb eben auch mein Germanistikstudium. Und dass man alles präzise, fast mathematisch ausdrücken kann. Und da bin ich eines Besseren belehrt worden: Es ist nicht möglich! Es ist chancenlos! Im Gegenteil, mittlerweile sind meine Erfahrung und meine Überzeugung, dass das gesprochene Wort oft viel mehr kaputtmacht, als es hilft. Und daher übe ich mich auch, soweit es möglich ist, in „noblem Schweigen“, weil der Großteil von dem was man sagt, völlig unnötig ist. Das braucht niemand, es hilft niemandem, es ist nur blah, blah. Aber trotzdem ist es wichtig – und jetzt komme ich zur Beantwortung der Frage – da wir ja ein Gehirn haben, das anders funktioniert als bei Tieren. In einem Teilbereich, das Bewusstsein hat. Dass wir diese Erfahrungen schon in einer gewissen Form reflektieren, zusammenfügen und dann noch die Möglichkeit haben, daraus Querverbindungen zu finden: „Ah, ja – warte einmal – da ist ja noch ein Bereich, wo ich durch einen Logikschluss hinkomme und wo ich irgendetwas herausfinden kann.“ Also da ist das intellektuelle Auseinandersetzen auch eine Möglichkeit, aber keine Notwendigkeit. Wenn es jemand nicht kann, nicht so gut oder nicht so leicht analytisch denken kann, dann heißt das nicht, dass diese Menschen nicht diesen Übungsweg gehen können. Das ist nicht notwendig.

 

Und zum Zweiten: Das gedankliche Auseinandersetzen birgt die Gefahr, in Fehlrichtungen zu gehen. Weil jetzt zieht man wieder logische Schlüsse. Wenn der logische Schluss aus einem geklärten Bereich kommt, dann mag er richtig sein - aber das weiß ich vorher nicht. Es kann auch sein, dass der Schluss aus einem Bereich kommt, der noch nicht geklärt ist und dann ist der logische Schluss ein falscher Schluss. Das merke ich erst nachher. Wenn der Bereich klarer ist, dann merke ich: Hoppala, da habe ich mich aber damals schön geirrt. Also wenn man kindlich herangeht, spielerisch, in der intellektuellen Auseinandersetzung, dann schon. In dem Augenblick, wo es den Hauch von irgendeiner Dogmatik hat, dann ist es gescheiter, man lässt es bleiben.

 

H: Ja, also wenn auch die Worte nicht immer zum Ziel führen – ich bin Ihnen trotzdem sehr dankbar für die gesprochenen Worte und sage sehr herzlichen Dank für das Gespräch.

 

F: Danke fürs Kommen.

 

 

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"Mein Weg zum Buddhismus"

 

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Aufzeichnung und Transkription: Günter Haberl - Bearbeitung für den Lesetext: T.M.F.

© T.M.FIEDLER 2011

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