"Meine" Städte/Länder

Thomas M. Fiedler

 

 

  TAIWAN

(Vorabdruck aus meinem Roman "Wer war Thomas Micha?".)

 

Viel später, Micha erwachsen, war es der Duft eines ganzen Landes, der sein Leben verändern, bestimmen sollte, der Duft einer kleinen, China vorgelagerten Insel, der Insel seines Herzens, wie Thomas Micha später sagte, immer wieder sagte. Bei seiner ersten Ankunft war die Angst vor dem Neuen, dem Unbekannten, dem völlig Fremden, noch bestimmend, erst nach der Rückkehr in seine vertraute Heimat, also bis dahin vertrauten Heimat, merkte er erst schleichend und dann immer eindringlicher seine Veränderung, war dem stärker werdenden Kulturschock unvorbereitet ausgeliefert, begann jedem Flugzeug, welches in den Osten flog, in Richtung seiner neuen Heimat, dem überraschenden neuen Zuhause, nachzusehen, trauernd nachzusehen, tränend, weil er gerne mitgeflogen wäre, zurück auf diese kleine Insel, seiner vorher unbekannten Herzensheimat. Und er wusste nicht warum, rätselte, konnte sich das nicht erklären, geriet zeitweilig aus dem Gleichgewicht. Ein Land, das ihn, den Weißhäutigen,  Sonnenempfindlichen, schon auf Grund der extremen, subtropischen bis tropischen Sonne bedrohte, dessen ungezügelter, für ihn bis dahin unvorstellbarer, noch nie jemals so erlebter Verkehr, mit einer unglaublichen Menge an Autos und Motorrädern, mit ihren atemraubenden Abgasen, nicht nur in Ballungszentren, kaum Luft bekommen ließ. Doch nach seiner Rückkunft von dieser ersten Reise erfasste ihn dieses bis dahin unbekannte Heimweh, ließ ihn trauern, mit dem innigen Wunsch nach einer Rückkehr, sofortigen Rückkehr, auf diese Insel. Denn dort war auch dieser unbeschreibliche Duft, der ihn immer, auf allen seinen späteren Reisen durch dieses Land, begleitete, ein vertrauter, aber vorher noch nie erlebter, daher anfangs irritierend vertrauter Duft, nicht nur, aber auch, vom balsamisch harzigen Räucherwerk der allgegenwärtigen, dem Buddha geweihten Tempel, begleitet vom Duft der Insel, voll Meeresluft, vom Duft des schier endlos wirkenden Angebotes der Speisen der Straßenmärkte, der ständigen Feuchtigkeit, welche nasse Wäsche erst nach Tagen trocknen ließ, vom Duft einer unbekannten Blütensüße und Würze, eben unbeschreiblich. Und da war auch noch die so noch nie erlebte Bergwelt, tropisch, feucht, mit einer anderen, als der in seiner Heimat gewohnten Akustik, enger, einnehmender, die Micha berührte. Die Geschäftigkeit rund um die Uhr, lebendig, durch abgedunkelte Autofenster wie aus einer anderen Welt wirkend, war für Thomas Micha bis dahin unbekannt. Die Zeitumstellung von sieben Stunden trug auch noch zu einer Art von Trance bei, die ihn befiel, jedes Mal befiehl, wenn er landete, und ihn nicht mehr losließ, die Reise zum Traum werden ließ, den er nicht enden lassen wollte. Und all die vielen Jahre, die Thomas Micha später noch dort hinkam, glücklich fiebernd ankam, liefen ihm Tränen, Tränen der Freude, der Freude des Heimkehrers, über das Gesicht, gleich wenn er den Flughafen verließ, denn er war wieder Zuhause, in seiner Herzensheimat, der schönen Insel, der duftenden. Lockend, wie auch der Duft der Pinien.

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